100 Jahre Bauhaus

Ein Interview mit Jolanthe Kugler, Kuratorin des Vitra Design Museums und Anne-Louise Sommer, Direktorin des Designmuseums Danmark über Bauhaus, Mythen und die Wanderausstellung.

Unser Geschmack in Design und Mode unterliegt einem ständigen Wandel, der nicht nur von Stilikonen und Modedesignern beeinflusst wird, sondern auch von Ereignissen und Bewegungen, die uns umgeben. Einige dieser Einflüsse sind flüchtig (was uns hoffentlich ein Comeback der Dauerwelle erspart), während andere die Welt für viele Jahrzehnte prägen. In diese Kategorie fällt die Bauhausschule, die in diesem Jahr ihr hundertjähriges Bestehen feiert.

Seit 2015 unterstützt HUGO BOSS die Ausstellung „Bauhaus #allesistdesign“ im Vitra Design Museum in Weil am Rhein. Im Bauhausjahr ist die Wanderausstellung nun in Kopenhagen angekommen, genauer gesagt im Designmuseum Danmark. Grund genug zwei Bauhaus-Expertinnen, Jolanthe Kugler, Kuratorin des Vitra Design Museums und Anne-Louise Sommer, Direktorin des Designmuseums Danmark, ein paar Fragen zum Bauhaus zu stellen.

Jolanthe Kugler
Anne-Louise Sommer

Woher stammt der Name Bauhaus?

Jolanthe Kugler: Der Name Bauhaus lehnt sich an die mittelalterliche „Bauhütte“ an, also eine Organisation, die für den Bau von Sakralbauten zuständig war. Die Bauhütte war der Ort, an dem Kunst und Handwerk miteinander verschmolzen, wo gelernt und gelehrt wurde, Lehrlinge zu Gesellen und dann zu Meistern heranwuchsen. Und wo aus der Synthese der Handwerkskünste so gewaltige Bauwerke wie die gotischen Kathedralen hervorgingen.

Ist es möglich, das Bauhaus in Kürze zu beschreiben?

Anne-Louise Sommer: Es kann als ein multidisziplinärer Ansatz für Design beschrieben werden. Dieser entsteht sich aus dem Wunsch, die Bereiche Handwerk, Kunst und Architektur zu vereinen und praktische und schöne Objekte für den täglichen Gebrauch zu schaffen.

Jolanthe Kugler: Das ist richtig. Und es ist kein Stilbegriff, sondern eine Idee, eine Lebensvorstellung, eine neue Art zu Denken – oder auch, wie der Architekturhistoriker Jean-Louis Cohen sagte, eine Stellungnahme gegenüber der Gesellschaft.


Sind Sie bei Ihrer Diskussion über das Bauhaus auf überraschende Fakten gestoßen?

Jolanthe Kugler: Obwohl das Bauhaus eingehend erforscht scheint, ist es doch so komplex, so vielschichtig, dass man immer wieder auf Überraschungen stößt.

Anne-Louise Sommer: Das ist wahr. Ich war ein wenig überrascht, wie viele Studentinnen kämpfen mussten, um Anerkennung zu bekommen. Obwohl die Schule offiziell sowohl männliche als auch weibliche Studenten akzeptierte, wurden Frauen oft an die Textil- oder Keramikabteilung verwiesen, auch wenn sie mit Metall arbeiten wollten.

Jolanthe Kugler: Die Frauen am Bauhaus blieben entweder im Hintergrund, an der Seite ihrer Männer und leisteten da Großartiges, wie Ise Gropius, Frau von Walter, die liebevoll „Frau Bauhaus“ genannt wurde, die die ganze Korrespondenz machte, den Kreis der Freunde gründete und pflegte, durch das Land reiste, um für das Bauhaus zu werben.  Oder sie wurden, wenn unverheiratet, der Weberei zugeteilt. Weben wurde als Frauensache betrachtet. Nur ganz wenigen gelang es, in einer anderen Werkstatt ihre Ausbildung zu machen wie Marianne Brand in der Metallwerkstatt.

Mythos oder Wahrheit: Alles im Bauhaus ist immer weiß.

Anne-Louise Sommer: Mythos. Es gibt so viele Farben im Bauhaus. Das sieht man an den Gebäuden und in den Werken von Johannes Itten, Wassily Kandinsky, Josef und Anni Albers und vielen anderen. 
 

Mythos oder Wahrheit: Das Bauhaus folgte der Maxime „form follows function“ („Form folgt der Funktion“).

Jolanthe Kugler: Der Ausdruck „form follows function“ ist einer der missverstandensten Leitsätze der Architekturgeschichte. Er stammt von Louis Sullivan und lautet eigentlich: „Es ist das Gesetz aller organischen und anorganischen, aller physischen und metaphysischen, aller menschlichen und übermenschlichen Dinge, aller echten Manifestationen des Kopfes, des Herzens und der Seele, dass das Leben in seinem Ausdruck erkennbar ist, dass die Form immer der Funktion folgt.“ In diesem Sinne verstanden könnte man sagen, das Bauhaus folgt dieser Maxime.


Mythos oder Wahrheit: Das Bauhaus hat das Flachdach erfunden (Stichwort “Dachstreit”).

Anne-Louise Sommer: Mythos. Das Flachdach wurde viel früher erfunden, aber es stimmt, dass es in vielen Bereichen der modernistischen Architektur und auch im Bauhaus verwendet wurde. Im Allgemeinen ist das Bauhaus dafür bekannt, bereits existierende Dinge in ein zugänglicheres und beliebteres Design zu übersetzen.


Mythos oder Wahrheit: Die Bauhaus-Ästhetik ist minimalistisch.

Jolanthe Kugler: Die eine Bauhaus-Ästhetik gibt es nicht. Allerdings sind viele der am Bauhaus entstandenen Objekte und Architekturen minimalistisch im Sinne der Optimierung von Materialien und Produktionsprozessen. Es ist eine auf das Wesentliche kondensierte Gestaltungssprache.


Haben Sie einen Bauhaus-Designklassiker zu Hause?

Anne-Louise Sommer: Nein, leider nicht. Aber ich wünschte, ich hätte Wilhelm Wagenfelds „Kubus“-Vorratsbehälter aus Glas.

Jolanthe Kugler: Je nachdem wie eng man den Begriff fasst sogar mehrere!
Ganz direkt aus Bauhaus-Händen und -Produktion ist Marianne Brandts Aschenbecher. Hergestellt seit Jahrzehnten von Alessi bewährt er sich bestens. Und wie wahrscheinlich fast jeder im deutschsprachigen Raum habe ich ein paar von Wilhelm Wagenfeld designte Gegenstände: den Salz- und Pfefferstreuer „Max und Moritz“ oder die Kaffee-Kolbenkanne, deren Grundentwurf von Gerhard Marcks stammt, von Wagenfeld überarbeitet wurde und zunächst von den Jenaer Glaswerken, später praktisch unverändert von Bodum hergestellt wurde.
 

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